Was ist der Sieg einem afghanischen ETT wert?

Posted on 2. Oktober 2010

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Der Original-Artikel erschien auf Afghanistan Shrugged: What Price Victory for an Afghan ETT?, von Vampire 06, am 23.03.2009.

Was ist der Sieg einem afghanischen ETT wert?

Seit neustem geht es in den Nachrichten viel darum, wie ein „Sieg“ in Afghanistan aussieht. Ich weiß es wirklich nicht, noch will ich eine Meinung dazu wagen. Leute in deutlich höheren Gehaltsebenen als meiner können das herausfinden. Ich kann nur für das kleine Stück Afghanistan sprechen, dass ich mit meinen ANA-Soldaten („my ANA“) und der örtlichen Bevölkerung von Bermel teile.

Ich sag euch das; es sind Kleinigkeiten. Versuch viel mehr zu erreichen, und du wirst in einen langsamen Strudel geraten, der zu Frustration und selbst-zugefügter Psychose führt. Worüber ich euch erzählen werde sind etwa 5 Kilometer. Das sind 3,1 Meilen, nicht sehr weit. Aber hier könnten das genausogut Lichtjahre sein.

Als wir hier ankamen ging die Kampf-Saison gerade zu ende. Die Kampf-Saison dauert typischerweise von Ende März bis Anfang Dezember. Der Schnee macht dann die zerklüfteten Pässe dicht, welche die Taliban benutzen um ins Land zu kommen. Während der Kampf-Saison konzentrieren sich militärische Operationen darauf was als kinetisch bezeichnet wird, sprich wir konzentrieren uns darauf den Feind direkt zu bekämpfen. Als diese Zeit zu ende ging waren wir etwas ratlos wie unser weiteres Vorgehen aussehen sollte.

Wir setzten uns zusammen und begannen zu brainstormen in welche Richtung wir weitermachen. Als eingebettetes Ausbildungsteam („Embedded Training Team“ – ETT) in einem abgelegenen Gebiet hatten wir einiges an Spielraum um unsere Strategie festzulegen. Wir begannen mit der zentralen Prämisse der Aufstandsbekämpfungs(„COIN“)-Kriegsführung. Trenne die Aufständischen von der Bevölkerung. Wie könnten wir das mit den Mitteln die wir zur Verfügung hatten bewerkstelligen?

Ich kann nicht die alleinige Verantwortung für diese Vorgehensweise beanspruchen, da sie von mir und einem meiner Captains (CPTs) hier entwickelt wurde, CPT Brain. Er ist eine extrem intelligenter, wohlbelesener und einfühlsamer Mensch, der aus der Bereitschafts-Reserve („individual ready reserve“) eingezogen wurde um mit uns hier in Afghanistan zu dienen. Er leistet Großartiges für sein Land.

Uns fiel auf, dass unsere Feindberührungen und ihre Einkommensquellen („means of support“) entlang einer Nord-Süd-Straße verliefen. Ich werde das die Spannungs-Linie („line of friction“) nennen. Das ist die beste Bezeichnung die mir einfällt, weil es nicht die ganze Zeit ein offener Konflikt war, daher scheint Spannung geeigneter als Konflikt. Diese Linie folgte dem westlichen Rand des öden Tals in dem wir lebten. An dieser Linie lagen die wichtigsten Dörfer und sie diente als wichtigste Verkehrsroute. Unsere Hoffnung war, dass wir diese Linie weiter nach Osten verschieben können.

Als nächstes analysierten wir unsere Mittel. Offensichtlich hatten wir Feuerkraft, aber damit ließ sich nicht bewerkstelligen was wir zu erreichen hofften. Die besten Mittel die wir hatten waren humanitäre und medizinische Unterstützung. Tonnen an Essen, Kleidung, Küchenöl und Decken hatten wir hier auf der FOB. Wir hatten auch eine US-Sanitätsstelle („US aid station“) und eine ANA-Sanitätsstelle, von denen wir Sanitäter und medizinisches Material beziehen konnten. Wir sahen diese als unser Bindeglied um mit den Einheimischen auf einer häufigeren und direkteren Basis in Kontakt zu kommen, um ihnen zu ermöglichen die ANA als Bringer von Hoffnung statt von Gewalt zu sehen.

Der Zeitrahmen den wir nutzen konnten war beschränkt. Wir hatten nur zwischen Dezember und Ende März, während die ACM („anti-coalition militants“, Gegner der Koalition) aus dem Tal waren und uns bei unseren Operationen nicht stören konnten. Also mußten wir mindestens dreimal die Woche außerhalb des Perimeters unterwegs sein. Das klingt nicht nach viel, aber eine militärische Operation zu planen und durchzuführen braucht Zeit. Es war ein sehr hohes operatives Tempo dass wir uns vorgenommen hatten.

Unsere Strategie bestand aus zwei Aufgaben um unser übergeordnetes Ziel der Bevölkerungstrennung („population seperation“) zu unterstützen. Erstens, zu zeigen dass die Regierung der islamischen Republik Afghanistan ihnen materiell helfen konnte, und eng damit verbunden eine operative Informations-Kampagne („information operations campaign“ – IO). Zweitens, wir versuchen als Vorbereitung auf die Kampfsaison Informationen über das hiesige Gebiet und Persönlichkeiten zu gewinnen. All das war auf die Spannngs-Linie ausgerichtet. Wir definierten einige Kriterien, die uns veranlassen würde von der Linie abzuweichen. Ich werde auf die nicht näher eingehen, aber wir hielten uns an sie und haben unseren Fokus nicht verloren.

Wir legten auch Kriterien fest, die uns veranlassen würden zu kinetischen Operationen überzugehen. Im Grunde war das allein Selbstverteidigung; wir würden den Feind nicht jagen. Wir konnten es uns nicht erlauben, dass der Feind uns von unserer Aufgabe ablenkt. Das mag komisch klingen. Aber Aufstands-Kriegsführung ist eine 360°-Bühne („theater in the round“), und oft werden ihre Angriffe nur durchgeführt um eine Reaktion zu provozieren die vom übergeordneten Ziel abhält.

Das alleinige Thema unserer IO-Kampagne war dies: „Die Regierung ist hier und unterstützt euch während des Winters, und die Feinde der Koalition („anti-coalition militants“ – ACM) sind das nicht“. Es war genau so einfach. Weder wichen wir davon ab, noch erweiterten wir das, und wie Politiker sagen würden: Wir blieben bei unserer Botschaft. Einfach auf den Punkt und unbestreitbar. Der Untergouverneur, afghanische Polizei (ANP), afghanische Armee (ANA) und Koalitionskräfte („Coalition Forces“ – CF) alle kommunizierten diese Nachricht. Wenn wir von jemanden hörten der eine andere Botschaft verbreitete setzen wir uns mit ihm zusammen und besprachen warum sie von der Botschaft abgewichen waren. Die ganze Zeit bläute jeder jedem den wir finden konnte diese Botschaft ein.

Begleitet wurde die IO von all der humanitären Unterstützung die wir auftreiben konnten. Tatsächlich haben viele von euch die dies Lesen uns Zeug geschickt. Wir nahmen alles was wir konnten und manchmal unser eigenes Geld um Feuerholz, Nahrungsmittel oder Küchenöl zu kaufen. Uns interessierte nicht wo es herkam oder wie es aussah, wir brachten es unter die Leute.

Zusätzlich brachten wir Sanitäter und Medizin. Die CF- und ANA-Sanitäter, zusammen mit unseren Übersetzern, würden nach allen schauen die kamen, gleichgültig was die Verletzung oder Krankheit auch war. Wir versuchten jeden zu behandeln; zu einem Zeitpunkt untersuchten wir sogar ein paar kranke Ziegen. Wir würden alle behandeln die kamen!

Die ANA entwickelte ein Standardverfahren („standard operating procedure“ – SOP) um diese Stellen zu errichten. Es war schmerzhaft, und am Anfang gab es einige Beinahe-Unruhen, aber wir arbeiteten durch und bekamen den Dreh raus. Die ANA stellte auch sicher dass die Materialien direkt an die Bevölkerung ausgegeben wurden, und nicht über die Stammesältesten. Dies stellte sicher dass die Menschen wußten, dass die Regierung das Material geliefert hatte.

Während diesen Operationen würden wir mit den Einheimischen reden und Beziehungen aufbauen. Wir fragten nicht nach den ACM, sondern einfach was in ihrem Gebiet vorging, was ihre Sorgen waren und was sie dachten wie man diese Probleme am besten angehen könnte. Wir begannen die örtlichen Stämme zu kartographieren, ihre Grenzen, mehr über ihre Vergangenheit herauszufinden, und über Konflikte. Außerdem machten wir Bilder von den Dörfern und dem umliegenden Gelände. Nichts offensichtliches, wir machten einfach Schnappschüsse die in Zukunft benutzt werden könnten, falls wir je auf einer kinetischen Mission hierher zurückkehren müssten.

So, was hat das alles uns gebracht? Es verschob die hauptsächliche Spannungs-Linie 5km nach Osten, näher an die pakistanische Grenze, in die Ausläufer der Berge. All das für 5km. Wir verschoben die Türschwelle der ACM, und jetzt werden wir anfangen an diesen Dörfern zu arbeiten. Wenn die ACM in den Bergen bleiben, na und? Niemand lebt dort.

Wir haben jetzt keine Sprengfallen (IEDs) an der vorherigen Linie, und wenn jemand eine legt erfahren wir davon. Keine Raketen kommen mehr aus diesem Gebiet. Taliban-Unterschlupfe wurden verlegt. Zusätzlich halten die Leute an um mit uns zu reden wenn wir in den Dörfern unterwegs sind, und manchmal kommen sie sogar zum Feldlager („Forward Operation Base“ – FOB), was unbezahlbar ist. Wir kennen die örtliche Umgebung, und können sie tiefergehend besprechen. Es scheint, als hätten wir die meisten unserer Ziele erreicht.

Haben wir uns irgendwas revolutionäres ausgedacht? Nein. Was wir uns entschieden zu tun ist in vielen Büchern und Leitfäden festgehalten. Wir haben uns lediglich einen Ruck gegeben und beschlossen wenig attraktive, unspektakuläre und zuweilen sehr langweilige Operationen durchzuführen um die Bevölkerung zu unterstützen. Die Versuchung war da; wieder dazu überzugehen einfach den Feind zu töten, aber wir widerstanden. Wir sind keine Genies. Wir haben lediglich eine Entscheidung getroffen, einen Plan entwickelt und an ihm festgehalten.

Wie sieht also der Sieg in Afghanistan aus? 5km Wüstenboden, der macht nicht viel her; aber wir haben ihn für das afghanische Volk zurückbekommen!

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